Lip oder die Macht der Fantasie
Ein Lehrbeispiel für Kommunikation und Demokratie
Als ich 1948 anfing, bei Lip zu arbeiten, schafften dort 1000 Beschäftigte, verstreut über verschiedene Gebäudeteile, isoliert voneinander. Wir durften unseren Arbeitsplatz ohne Genehmigung nicht verlassen. Treffen konnten wir uns nur bei Arbeitsbeginn und -ende und in der Pause (10 Minuten am Morgen). Der Boss, Fred Lip, war ein Patriarch; vor allem in der Nachkriegszeit hingen die Arbeiter und ihre Familien stark von seinen Wohltaten ab. Nach und nach entließ er alle früheren Arbeiterführer, die aus der Résistance kamen. Er fertigte seine eigene Belegschaftszeitung und richtete jeden Freitag nach Feierabend das Wort an die Belegschaft.
Die Gewerkschaftsvertreter wurden von den Meistern überwacht. Wer dem Boss nicht passte, flog. Es gab schwarze Listen. Die Arbeiter wurden auch durch eine besondere Einstellungspolitik unter Druck gesetzt: Im Monat August wurden viele eingestellt, im Januar viele entlassen. Ein Luxus: in jedem Büro und jeder Werkstatt gab es einen Lautsprecher. So lernten wir die Bedeutung der Kommunikation kennen.
Von den Gewerkschaften gab es die CGT und die christliche CFTC, ihre Vertreter waren jedoch kaum bekannt, die Strukturen äußerst schwach, das kollektive Leben der Belegschaft dämmerte vor sich hin. Anfang der 50er Jahre kam ein Schwung junger Arbeiter in den Betrieb, die das Gewerkschaftsleben neu organisierten.
1950 gab es in der Uhrenindustrie in Besançon einen zehntägigen Streik um höhere Löhne. Bei Lip wurde er nur von einem Teil der Belegschaft befolgt, und auch bei ihnen beschränkte er sich darauf, morgens um 10 Uhr zu einer Streikversammlung geladen zu werden und dann nach Hause zu gehen. Der Streik scheiterte, danach war kein Mensch mehr zu einer kollektiven Aktion bereit.
Ich arbeitete in der Werkstatt, wo die Uhrenwerke hergestellt wurden. Die Meister dort waren hoch qualifiziert und sehr individualistisch, sie wollten ihr Wissen nicht weitergeben, im Gegenteil, eifersüchtig behielten sie ihre Kniffe für sich. Das Uhrmacherhandwerk ist sehr schwer, die Lehrzeit reicht nicht, um komplexe Gegenstände herzustellen. Wir jungen Mechaniker fanden einen Ausweg: wir bauten eine regelmäßige Kommunikation untereinander über Erfolge und Misserfolge bei unserer Arbeit auf. Zu acht schafften wir es acht mal schneller. So erfuhren wir zum ersten Mal, was Austausch, Solidarität und Kollektivität bei der Arbeit heißt.
1953: eine neue Generation
In meiner Werkstatt wurde die Leistungszulage gestrichen. Für die Meister war das ein Pappenstiel, bei ihren Löhnen fiel das nicht auf. Die Jungen aber setzten sich zur Wehr und traten sofort in den Streik. Zwei von uns haben die Verhandlungen geführt und die Rücknahme der Streichung durchgesetzt. Bei den nachfolgenden Gewerkschaftswahlen stellte mich die CFTC auf, weil sie vom Streik Wind bekommen hatte, und ich wurde gewählt. In der CGT und in der CFTC im Betrieb gab es jetzt eine Reihe von Jüngeren. Wegen der großen Schwächen unserer Gewerkschaften wurden wir oft vom Personalchef gehänselt. Wir mussten uns eingestehen, dass wir so gut wie keine Verbindung mit dem Gros der Belegschaft hatten. Beiläufig entdeckten wir, dass der Betriebsrat Arbeiterinnen gescholten hatte, weil sie sich weigerten, samstags Überstunden zu machen. Er schrieb sogar an den Boss: "Geben Sie uns nicht mehr Geld, wir haben das vom letzten Jahr noch nicht ausgegeben." Dabei waren die Arbeitsbedingungen unerträglich, der Lärm, der Schmutz, der Befehlston, die ständige Überwachung, das Verbot sich zu unterhalten, die Arbeitsunfälle.
Die jungen Vertreter in beiden Gewerkschaften fingen an, sich Fragen zu stellen. Wie konnten wir eine bessere Kommunikation im Betrieb herstellen? Wie konnten wir in Erfahrung bringen, was in anderen Werkstätten und Büros lief? Wir lernten unseren Betrieb besser kennen und wurden dadurch auch bekannter; unsere Flugblätter wurden besser. Schließlich haben wir angefangen, einmal im Monat die Delegierten aus den verschiedensten Teilen des Betriebs im Gewerkschaftsbüro zusammenzurufen. Mit den Jungen von der CGT arbeiteten wir dabei eng zusammen, sie stellten sich dieselbe Frage wie wir: Wie können wir die Notwendigkeit kollektiver Aktionen glaubwürdig vermitteln? Wir haben praktisch alle diese Treffen gemeinsam organisiert, so haben wir uns kennen gelernt und den Grundstock für unsere Einheit gelegt. Wir vertrauten uns; das Vertrauen hat noch zugenommen, als mehrere von uns später der Union de la Gauche Socialiste beigetreten sind, einer Vorläuferorganisation der PSU (Parti Socialiste Unifié).
Die Kraft des Kollektivs entdecken
Unser erster Erfolg war, als wir entdeckten, dass eine Leistungszulage bei der Berechnung der Überstunden nicht berücksichtigt worden war. Wir informierten uns über die Rechtslage, veröffentlichten den Rechtsbruch durch ein Flugblatt, beriefen uns auf Gerichtsurteile und riefen die Gewerbeaufsicht zu Hilfe. Fred Lip musste kapitulieren; das war ein Paukenschlag, denn wir hatten Nachforderungen von einem ganzen Jahr, das war ein schöner Batzen Geld. Allmählich zeigte sich, dass sich kollektiver Widerstand bezahlt macht.
Wir stellten das Lohngeheimnis in Frage. Über den Lohnstreifen wurde nicht geredet, das war tabu. Jeder wähnte sich etwas privilegiert. Bis einige damit einverstanden waren, dass ihr Streifen ohne Namensangabe veröffentlicht wurde. Das war ein Aufruhr! Die Chefs wurden herbei zitiert und die Geschäftsleitung musste etwas Ordnung in die Lohnpolitik bringen, Mindest- und Höchstgrenzen festlegen. Das war der Beginn der Lohnstufen und der Einführung von Transparenz. Den Arbeitern ging Klarheit jetzt vor Geheimnistuerei.
Noch später mischten wir uns in die Personalpolitik ein. Die Produktionsleiter wurden stark unter Druck gesetzt, länger als zwei Jahre hielten sie es in der Regel bei Lip nicht aus. Als einer von ihnen wieder einmal entlassen werden sollte, legte eine Abteilung die Arbeit nieder. Wir wurden aufgefordert, dazu was zu sagen. Wir schlossen uns dem Streik an, thematisierten aber alle Entlassungen, nicht nur die eine dieses Direktors. Es gab einen Kompromiss.
Staatsstreich 1958
De Gaulle putschte und übte eine diktatorische Macht aus, die keinen Widerspruch duldete. Die Unternehmer beeilten sich, seinen Führungsstil nachzuahmen. 1959 verloren wir einen Lohnstreik, doch ohne große Lohneinbußen.
Wir holten uns einen Wirtschaftsprüfer und studierten die regionale, die schweizerische und die weltweite Uhrenindustrie. Wir begannen, uns für Wirtschaftsfragen zu interessieren, an dem Punkt war die CGT zurückhaltender. Wir setzten auch durch, dass die Gewerkschaftswahlen einmal im Jahr stattfanden, so bekamen wir ein getreueres Abbild von der Belegschaft.
1960 entstand in Palente ein neues Werk, mit zwei großen, untereinander verbundenen Gebäuden. Wir besorgten uns einen detaillierten Plan vom Werk und begannen, die Fabrik systematisch mit einem Netz von Korrespondenten zu überziehen.
1964 wurde aus der CFTC die CFDT. Wir trafen uns in regelmäßigen Abständen nach der Arbeit bei dem einen oder dem anderen, um grundlegendere Fragen durchzugehen. Die Hauptfrage war dabei immer wieder: Wie können wir die Kommunikation mit allen Beschäftigten verbessern?
Ohne uns dessen bewusst zu werden, wurden wir allmählich zu einer ziemlich untypischen Gewerkschaftsgliederung: Wir befolgten nicht die Order unserer Gewerkschaft und dachten mit unserem eigenen Kopf. Wir wurden politische aktiv, z.B. protestierten wir gegen einen Empfang für den NATO-Generalstabschef; ich folgte auch, mit der CGT zusammen, einer Einladung in die UdSSR, obwohl mein Gewerkschaftsvorsitzender am Ort dagegen war...
1968: der erste Werksstreik
68 war für uns ein großartiger Moment des demokratischen Kampfes. Wir von der CFDT bereiteten den Streik sorgfältig und zusammen mit der CGT vor, es herrschte volle Übereinstimmung. Am 20.Mai wurden die Eingänge zu den wichtigsten Betrieben in Besançon von Gewerkschaftsgruppen blockiert; das war der Streik. Die Lip-Beschäftigten forderten wir auf, sich um 8 Uhr morgens in der Kantine einzufinden, um gemeinsam über die Lage der Nation zu reden. Um 8 Uhr sprachen zwei Redner zur Sache, dann ging das Mikro rum... Niemand wollte das Wort ergreifen. Die Leitenden sind auch dabei, niemand traut sich. Zum Glück hatten wir das einkalkuliert, wir verkünden eine Pause, Diskussion in Kleingruppen, danach soll es eine Abstimmung geben. Das war ein voller Erfolg. Vor der Abstimmung stellten wir klar, dass die Meinung derer, die sich enthalten wollten oder ein Minderheitenvotum abgaben, respektiert werden müsse. Eine große Mehrheit stimmte für den Streik. Niemand buhte die Gegner aus.
Sofort wurde ein Streikkomitee mit Delegierten aus jeder Abteilung aufgebaut, gleich ob Gewerkschaftsmitglied oder nicht, nur das Vertrauen zählte. Aus anderen Betrieben kamen Delegationen zu uns und staunten darüber, was wir machten. Unser Vorgehen traf auf vollständiges Unverständnis. Für die Besetzung des Betriebs gab es klare Regeln: Die Geschäftsleitung durfte bleiben, sofern sie sich in einer begrenzten Zone aufhielt und nichts gegen den Streik unternahm. Über den Gebrauch der Maschinen bestimmten wir, auch über die Verwendung des vorrätigen Papiers.
Fred Lip rastete mehrmals aus. Er trug ständig eine automatische Pistole bei sich. Jeder Zwischenfall wurde entschlossen vom Streikkomitee geregelt; das haben einige Vertreter der CFDT schwer verdaut.
Es ist uns nicht gelungen, den Betrieb für die Studenten oder für andere zu öffnen. Die Stimmung war nicht danach und es überwog die Furcht. Aber wir lernten uns besser kennen, und das vergisst man nicht. Fred Lip hat sehr schnell ein Abkommen unterzeichnet, aber wir haben gesagt: "Das tritt erst in Kraft, wenn der Konflikt auf nationaler Ebene vorbei ist." Wir konnten die Freiheit der Information durchsetzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeiter konnten sich Beschäftigte jetzt im Betrieb auf einer Informationstafel frei äußern. Diese Tafel sollte sich in den folgenden Jahren als ein erstrangiges Instrument erweisen. So wie der Arbeitsablauf organisiert war, hatten die Beschäftigten nicht mehr als zwei Minuten abends und morgens, um unsere Informationen zu lesen. Wir schrieben in Großbuchstaben; die Tafel war ständig umlagert, die Macht der Arbeiter formierte sich. In der Stadt interessierten sich leider nur wenige für dieses Kampfmittel.
Außerdem bekamen wir einmal im Quartal eineinhalb Stunden, um die gesamte Belegschaft zu informieren, was wir voll nutzten. Die Infotafel war Fred Lip ein Dorn im Auge. Eines Tages hat er den Personalleiter geschickt, ein Plakat abzureißen. Wir ließen uns das von einem Gesetzesvertreter des bestätigen und machten es, mitsamt dem Gesetz, das gebrochen worden war, öffentlich... Fred Lip wagte das nie wieder.
Unsere kurze Erfahrung freier Rede und kollektiver Debatte, reichte aus, dass die Beschäftigten gewisse Arbeitsbedingungen nicht mehr hinnahmen. Überall im Betrieb brachen kleine Konflikte aus, die Arbeiter wollten respektiert und gerecht behandelt werden. Die Gewerbeaufsicht forderte uns auf, all diese Konflikte sofort zu beenden. Das lehnten wir ab: "Das entscheiden die Werkstätten und Büros allein." Wenn irgendwo ein Konflikt war, gingen zwei Gewerkschaftsvertreter hin, es gab eine gemeinsame Diskussion mit der gesamten Werkstatt, die Beschäftigten entwickelten ihre Forderungen, die Gewerkschaftsvertreter brachten zusätzliche Informationen ein. Wenn es Verhandlungen geben sollte, wurde darüber gesprochen, was und wie verhandelt werden sollte, eine Verhandlungsdelegation wurde gewählt, begleitet von den zwei Gewerkschaftsvertretern. Das Ergebnis wurde dann wieder von der Versammlung der Werkstatt begutachtet. Es gab etwa 15 solcher Konflikte.
1969: Werksblockade
Fred Lip kündigte das Abkommen von Mai 68, fror trotz starker Inflation die Löhne ein und drohte mit Werkstilllegung. Einige bekommen Angst, eine Minderheit will den Betrieb sofort besetzen. Zum Glück erinnern einige an die Regeln, die wir uns gegeben haben: Eine Minderheitenaktion würde der Belegschaft sehr schaden, also müssen wir eine für alle akzeptable Lösung finden. Es entsteht der Vorschlag, eine Schlange zu bilden und durch den Betrieb zu ziehen. Wenn die Schlange durch ihre Werkstatt kommt, scheren diejenigen, die für den Streik sind, aus und reden mit ihren Kollegen. Nach der Diskussion bekommt die Schlange manchmal Zulauf, es gibt Beifall und man zieht weiter. Nach drei Tagen gibt es eine deutliche Mehrheit für den Streik. Aber es ist Juni und bald beginnen die Ferien.
Dann sagen einige: "Wir müssen die Auslieferung blockieren. Um diese Zeit werden die meisten Uhren verkauft." 30 Arbeiter riegeln die Auslieferung ab. Fred Lip sucht die Kraftprobe, sammelt ein paar leitende Angestellte und will die Auslieferung erzwingen. Ein Moment höchster Gefahr. Eine Gruppe Gewerkschaftsvertreter geht dazwischen. Langsam zieht sich die Gruppe um den Boss zurück. Fred Lip versteht: Diese Belegschaft steht zusammen.
1970/71: Übernahme
1970 übernimmt die schweizerische Ebauches SA 43% der Aktien von Lip. Fred Lip erarbeitet einen Umstrukturierungsplan. Die beiden Werkstätten, in denen die kämpferischsten Belegschaftsmitglieder arbeiten, werden gestrichen. Ein langer Kampf beginnt, jedoch ohne Streik. Statt dessen herrscht allgemeiner Ungehorsam im gesamten Betrieb.
Wir nutzen dazu Ministerpräsident Chaban-Delmas‘ neues Gesetz über die Betriebsräte: im Betrieb dürfen keine Veränderungen ohne vorherige Konsultation des Betriebsrats vorgenommen werden. Fred Lip setzt sich jedoch darüber hinweg. Wir sind nun die, die das Gesetz verteidigen und machen die Sache überall bekannt. Kein Streik, aber beim Zeichen eines der Gewerkschaftsvertreter blockieren alle Mechaniker den befohlenen Abtransport der Maschinen; der Betriebsrat rügt die Geschäftsleitung. Die anderen Werkstätten und Büros solidarisieren sich. Der Plan wird fallen gelassen, Fred Lip wird von seinem Vorstandsposten entfernt.
1973: Das Werk in Eigenregie
Am 12.Juni erfährt die Belegschaft, dass Ebauches SA von Lip nur noch den Markennamen, das Vertriebsnetz und die Uhrenmontage erhalten will. Alles andere soll abgeschafft werden. Das ist ein Plan, die Gewerkschaften bei Lip zu schleifen. Die Unternehmensleitung legt eine sehr schlechte Bilanz vor und kündigt Entlassungen und Lohnkürzungen an. Der Betrieb wird sofort besetzt. In der Nacht werden die fertigen Uhren und das Produktionsmaterial beschlagnahmt.
Bei Lip beginnt nun der Kampf gegen die Schicksalsergebenheit, welche die Bilanz verbreitet. Nach einem Klausurwochenende legen die Gewerkschaftsdelegierten einen Plan für die Gegenwehr vor. Je zwei Delegierte von jeder Abteilung ziehen durch alle Werkstätten und Büros, am Nachmittag gibt es gemeinsame Debatte. Jemand macht den Vorschlag für einen Generalstreik; nach weiterer Debatte wird er fallen gelassen zugunsten des Vorschlags, das Arbeitstempo zu reduzieren, damit mehr Zeit bleibt für den Kampf.
Am 18.Juni beschließt eine Vollversammlung, die Produktion in Eigenregie wieder aufzunehmen, um einen "Lohn zum Überleben" zu sichern. Die Losung heißt: "Es ist möglich: wir produzieren, wir verkaufen, wir bezahlen uns." Der Beschluss, auf eigene Faust weiter zu produzieren, ist eine Antwort auf das drohende Ausbleiben der Löhne.
Einigen CFDT-Mitgliedern geht das Duo CFDT-CGT nicht weit genug, sie wollen ein Aktionskomitee bilden. Die Vollversammlung wird der Ort, wo alle Forderungen und die Rahmenbedingungen des Kampfes entschieden werden, wo festgelegt wird, wie Gefahren umschifft und demokratische Grundregeln eingehalten werden. Es gibt zahlreiche Arbeitsgruppen, die den gesamten Produktionsbetrieb regeln.
Die Lage hat sich nun vollständig geändert: Jetzt sind alle Versammlungen öffentlich, die Presse ist immer dabei. Einige Journalisten schlafen im Betrieb. So ist der Kampf sehr bekannt geworden. Die Unterstützung von außen war enorm.
Lip wurde nun zu einem ständigen Forum, und immer mehr Beschäftigte wurden in die allgemeine Dimension ihres Kampfes hineingezogen. 60 Belegschaftsmitglieder begleiteten immer die Verhandlungskommission, egal wohin. Und immer mehr Beschäftigte mussten nach draußen, durch die Lande, um den Konflikt zu erklären. Arbeiter wurden so zu politischen Aktivisten; vor allem die Frauen sind hier hervorgetreten.
Am 15.August wird der Betrieb von der Polizei besetzt, die Arbeiter vertrieben. Die Polizei bleibt dort bis zum Februar 1974, bis das PSU- Mitglied Claude Neuschwander den Betrieb übernimmt. 850 Arbeiter werden wieder eingestellt. Der Streik ist zu Ende.
1974: Das Ende
Der Ölschock und die erste schwere Wirtschaftskrise führen überall zu Massenentlassungen und zahlreichen Betriebsschließungen. Am 8.Februar 1976 legt Neuschwander wegen zunehmender wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten seine Funktion nieder. Er erklärt: "Bis Lip lebten wir in einem Kapitalismus, in dem das Unternehmen das Herz der Ökonomie bildete. Danach leben wir in einem Kapitalismus, in dem Finanz und das Geld das Herz der Ökonomie bilden."
Am 5.Mai 1976 besetzen 620 Beschäftigte erneut die Fabrik und kurbeln die Produktion wieder an. Es gibt verschiedene Projekte, u.a. die Aufnahme von Lip in einen regionalen Strukturplan; das scheitert am mangelnden politischen Willen.
Am 12.September 1977 wird Lip endgültig liquidiert. Nach langen Debatten werden auf dem Werksgelände verschiedene Genossenschaften angesiedelt; sieben bleiben davon am Schluss übrig, darunter Les Industries de Palente (LIP). Sie müssen das Werksgelände Palente jedoch verlassen.
1990 kauft Jean-Claude Sensemat den Markennamen und beginnt eine neue Uhrenproduktion auf der Basis von Versandhandel. Firmensitz ist Lectoure in Südfrankreich. Ein Teil der Fertigung läuft heute in China. (Übersetzung: Angela Klein.)